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Transalp von München zum Gardasee mit dem Rennrad – August 2021

Bericht von Ulrich Vormbrock über seine Alpenüberquerung zum Gardasee über das Timmelsjoch

Wie alles begann

Wer mich näher kennt, der weiß, dass ich in der Vergangenheit an vielen Wettkämpfen im Bereich Langstreckenschwimmen teilgenommen hatte.
Allerdings hat die Corona-Pandemie so einiges durcheinandergewirbelt – und ich wollte kein teures Geld für Extrem-Schwimm-Events (plus Hotel und Flug) ausgeben – um dann möglicherweise hinterher feststellen zu müssen, dass diese wegen Corona doch nicht stattfinden. Auf meinem Plan stand zum Beispiel der Ultra-Oceanman in Griechenland. Und abgesehen davon: der Sommer 2021 war so dermaßen schlecht, verregnet und voll gespickt mit Gewittern, dass ich per se keine große Lust auf ausgedehntes Freiwasser-Training hatte!

Es gibt ja ein spanisches Sprichwort, welches besagt: wo eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere! Volià!
Ich hatte ja damals von 2006-2008 (als ich in der Schweiz lebte) sämtliche Pässefahrten mit meinem Carbon-Rennrad unternommen – und ich war gespannt, ob ich mit etwas Training die alte Form wieder herstellen konnte. Schließlich lagen ja 13 Jahre zurück – zuletzt hatte ich den Grimsel- und Nufenenpass im Sommer 2008 bezwungen.

Training vorher

Ich fing etwa drei Wochen vor meiner großen Tour mit dem Training an und fuhr vorzugsweise Strecken über Bad Tölz mit 100 – 140 Tageskilometern und 400 – 800 Höhenmetern. Das ging auch prima – obgleich meine Triathlon-Uhr mich plötzlich mit dem Hinweis „Training zu hart!“ ermahnte. Wichtig zu erwähnen: ich war Anfang Juni mit in Cesenatico (= unser alljährlich stattfindendes Trainingslager mit Schwimmen, Laufen und Radfahren) dabei und konnte gemeinsam mit anderen Exathlet*innen prima trainieren – Highlight war (wie jedes Jahr) die Auffahrt nach San Marino. Insofern war es um meine Form nicht allzu schlecht bestellt.

Zwischenfall

Leider zog ich mir eine Woche vor der großen Tour einen Hexenschuss zu – bei einer Ausfahrt hatte ich mich an einer Strassenkreuzung an einem Ampel-Mast festgehalten und bei grün mich mit dem rechten Arm zu stark nach vorne gedrückt – die Torsion erzeugte Schmerzen im unteren Lendenwirbelbereich. Die Ausfahrt konnte ich dennoch fortführen. Am Mittwoch (5 Tage vor meiner Tour) wurde der Hexenschuss so stark, dass ich kaum sitzen konnte und mich für den Tag krankgemeldet hatte. Verdammt! Ich sah schon meine Tour ins Wasser fallen – vielleicht wäre Schwimmen doch eine bessere Wahl für mich gewesen? Ich ging zu einem Orthopäden – der machte zwar nicht viel, aber sprach mir unwahrscheinlich viel Mut zu: „Sie sind keine Couch-Potatoe, Sie wirken athletisch und durchtrainiert. Sicherlich ist das nicht Ihre erste Transalp, die Sie starten möchten. Machen Sie ruhig die Alpen-Überquerung – zur Not fahren Sie nicht über das Timmelsjoch, sondern über den Brenner – so können Sie im Notfall immer noch mit dem Zug weiterfahren„. Wie durch Magie war am nächsten Tag der Hexenschuss wie weggeblasen – ich weiß bis heute nicht, warum. Möglicherweise war es die Zuversicht, die mir der Orthopäde zukommen ließ.

Wetterlage

Auch die Großwetterlage für die erste August-Woche war nicht gerade ermunternd – sowohl für Oberbayern, Österreich, aber auch für den Gardasee! Nun hatte ich allerdings Urlaub für die erste August-Woche eingereicht und zudem in Limone ein Hotelzimmer für 4 Nächte gebucht. Diese Buchung war verbindlich und nicht stornierbar! Ich schaute recht häufig auf meine Wetter-App: Sorgen machte mir vor allem das Timmelsjoch – dort waren täglich ab ca. 16h Gewitter angekündigt. Ich beschloß, trotzdem zu fahren und gegebenenfalls auf den Brenner auszuweichen.

Vorbereitung

Zwecks Navigation legte ich mir ein Navi zu. Auf Komoot plante ich die Strecke und spielte diese dann auf das Navi auf. Übrigens habe ich bereits bei einigen Ausfahrten vorher das neue Navi getestet und lernte dabei, dass die Touren in der Tat vorher am PC oder Mac recht akribisch geplant werden wollen – sofern man unterwegs keine bösen Überraschungen (z.B. Umwege durch Wohngebiete, Schotterpisten, etc.) erleben möchte. Des weiteren legte ich mir eine Satteltasche zu, welches sich an der Sattelstütze mit Klett- und unter dem Sattel mit Klippverschlüssen recht leicht montieren lässt. Meine Tasche hat ein Fassungsvermögen von 16,5 Liter – d.h. da passt viel rein – angefangen von Strassenschuhen, lange Hose, T-Shirts, Jacke, Zahnputzzeug, Werkzeug, etc. Das Geniale an dieser Tasche: sie läuft zur Sattelstütze schmal und keilförmig zu und wird nach hinten immer breiter. Durch ein Ventil kann übrigens überschüssige Luft herausgelassen werden, so dass das Volumen nochmal reduziert werden kann. Am Vorabend habe ich die Tasche gepackt und anschließend gewogen: ich kam auf gut 4 kg Gepäck!

Transalp - Route von München über das Timmelsjoch zum Gardasee

Außerdem brauchte ich ja noch einen Rücktransport. Meine Idee war, von Rovereto aus den Eurocity zu nehmen und das Fahrrad im Zug mitzunehmen. In einigen Foren erfuhr ich allerdings, dass es nicht immer möglich sei – und der Schaffner die Mitnahme des Fahrrads verweigern kann, wenn der Zug voll ist. Es muss bereits in der Vergangenheit sogar zu einigen Handgreiflichkeiten zwischen Reisenden und Schaffnern gekommen sein! Also entschied ich mich für eine sicherere Variante: Rücktransport mit einem Shuttle-Bus von Torbole nach München – der Spass kostet 110 Euro (pro Person plus Gepäck plus ein Fahrrad) – die Fahrzeit beträgt dabei ca. sieben Stunden, da der Bus unterwegs an mehreren Stellen (Bozen, Innsbruck, Garmisch) anhält und weitere Personen aufnimmt oder absetzt.

Es geht los – erster Tag

Ich startete um 6h30 in Feldmoching und hatte bis zum Deutschen Museum (= da begann für mich der Isar-Radweg) mit recht viel Strassenverkehr und roten Ampeln zu kämpfen. Ab dann wurde es ruhiger – und als ich am Säbener Platz (= Eintrittspforte zum Perlacher Forst) angekommen war, wurde das Radfahren zum Genuss – ich radelte über Oberbiberg und Dietramszell nach Bad Tölz. Das Wetter war trotz schlechter Prognosen sehr angenehm und sonnig. In Bad Tölz legte ich in einem Straßencafé eine Pause ein und genoß die Umgebung bei einem Cappuccino und einem Schoko-Croissant.

     

Nach meiner wohlverdienten Pause ging es auf der anderen Isar-Seite weiter über Lenggries über die Jachenau zum Walchensee. Dort kippte allmählich das Wetter – ich konnte aber trotzdem noch einige recht ansprechende Fotos vom Walchensee machen und mich mit einem Energieriegel stärken. Übrigens sieht man auf dem ersten Bild sehr gut die geniale Satteltasche, welche man beim Fahren so gut wie gar nicht merkt – erst später beim Pässefahren, wie wir noch sehen werden.

     

Zwischen Walchensee und Mittenwald fing es plötzlich an zu regnen – Gott-sei-Dank blieb es bei einem kurzen Regenguss. Ab Wallgau ging es über einen gemütlichen Rad- und Wanderweg nach Mittenwald – etwas nervig empfand ich allerdings manche E-Biker, die zum Teil zu dritt nebeneinander fuhren und nebenbei auch noch mit ihrem Smartphone zugange waren. Egal – dachte ich mir – es ist Urlaubszeit – und: leben und leben lassen … nur bei einer Sache war ich dann doch nicht tolerant: in Mittenwald stärkte ich mich mit einem halben Hendl mit Pommes – beides war so trocken, dass ich die Hälfte wieder zurückgehen ließ! Na wenigstens mundete das Weißbier, welches mir neben Gelassenheit auch die nötigen Mineralien lieferte, die ein Sportler so braucht …

    

Nach Mittenwald und hinter der Grenze zu Österreich ging es in einigen Serpentinen hoch in das wunderschöne Leutaschtal (Hochebene, ca. 1136 m über NN, s. erstes Foto), wo es sich sehr angenehm radeln ließ. Auch das Wetter wurde plötzlich wieder besser. Hinter Leutasch ging es dann sieben Kilometer mit 10% bergab nach Telfs. Da bekam ich richtig Speed – aber musste an einer Stelle höllisch aufpassen, da ein Traktor auf der Gegenspur zwei Rennradfahrer überholte und mir recht nahe kam!

Leutasch - hier radelt es sich sehr gut    7km lange Abfahrt von Leutasch nach Telfs

Die Weiterfahrt von Telfs entlang des Inns bis nach Ötztal war wenig spektakulär bis eher langweilig: meist war Hauptstrasse angesagt – und wenn es einen Radweg gab, führte dieser entlang von Gewerbegebieten mit nervigen Ein- und Ausfahrten. Außerdem macht es nach einer so schönen und rasanten Abfahrt nicht mehr so großen Spaß, durch flaches Land zu radeln.

In Ötztal (am Kreisverkehr Ötztaler Höhe) machte ich Rast an einer großen Tankstelle – genehmigte mir einen Espresso und zwei Flaschen Mineralwasser. Ich nahm draußen an einem Bistrotisch (mit überquellenden Aschenbecher) Platz und organisierte mir mit einer Booking-App eine Unterkunft für die kommende Nacht. Dabei erfuhr ich: je höher und je näher an Sölden gelegen, desto teurer (ab ca. 180 Euro) wäre die Übernachtung gewesen. Meine Wahl fiel auf ein Sport-Hotel in Umhausen, gut 10 km von Ötztal gelegen. Dort kostete die Übernachtung mit Frühstück 72 Euro.

Ab Ötztal gen Süden beginnt ja die Ötztal-Bundesstrasse entlang vieler touristischer Orte wie Oetz, Längenfeld und Sölden. Und diese Strasse war für mich nicht besonders angenehm: sehr viel Auto- und Schwerlast-Verkehr! Das kann ja noch heiter werden – dachte ich mir. Denn schließlich trennten mich noch 54 km von der Timmelsjoch-Passhöhe! Es gab zwar ab und zu einige Radwege, die aber teilweise von der Strasse wegführten – und wo man sich nicht sicher sein konnte, ob sie sich später zu Schotterpisten verwandeln. Ganz zu Anfang kurz hinter Sautens nahm ich „ordnungsgemäß“ den Radweg, der sich dann plötzlich zu einer Schotterpiste verwandelte. Ergo drehte ich wieder um, trug das Rad über die Leitplanke auf die Straße und setzte meine Tour fort. Auf dem Weg nach Umhausen an einer Radweg-Abzweigung holten mich übrigens zwei Rennradfahrer ein – ich fragte sie, ob diese Abzweigung für uns Rennradfahrer geeignet sei. Sie wussten es selber nicht. Auf einmal fragte mich einer der beiden, was ich mit meinem rechten Schuh gemacht habe. Ich war überrascht und stellte daraufhin fest, dass sich die Sohle meines Rennrad-Schuhs gelöst hatte und noch am Pedal hing. Oh Mist – ausgerechnet auf dieser großen Tour passiert so etwas – dachte ich mir! Ich entfernte die Sohle vom Pedal und fuhr die letzten Kilometer weiter zum Hotel – das Treten funktionierte auch einigermaßen gut – nur das Ziehen nicht mehr.

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Gut zu wissen

Es gibt offiziell einen sehr schönen, ca. 43 km langen Radweg von Haiming bis Sölden – den sogenannten Ötztal-Radweg.

Dieser Radweg ist allerdings nur zu 50% asphaltiert – also eher für E-Biker und MTB-Fahrer geeignet.

Mehr Infos über den Ötztal-Radweg hier:
https://www.tirol.tl/de/freizeit-aktiv/rad-mountainbike/radwege-in-tirol/oetztal-radweg/

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Bundesstrasse von Ötztal über Sölden zum Timmelsjoch   

Das Hotel war klasse – es gab einen abschließbaren Fahrradraum und sogar eine Vorrichtung, um das Rad zu waschen. Außerdem hatte es einen Fitness-Raum sowie einen Wellness-Bereich – allerdings wegen Müdigkeit und Zeitknappheit nahm ich beides nicht in Anspruch. Die junge Dame an der Rezeption war sehr freundlich und hilfsbereit – und auf meine Nachfrage, wo ich möglicherweise neue Rennradschuhe herbekommen könnte, empfahl sie mir ein Sportgeschäft in Umhausen, welches am nächsten Tag ab neun Uhr geöffnet hatte. Nach dem Duschen stärkte ich mich in einem urigen Restaurant mit Fleisch und Spätzle – denn ich brauchte ja genügend Treibstoff für den folgenden Tag – aber ob es zu einem derartigen Sich-Auspowern kommen würde, hing gänzlich davon ab, ob ich in Kürze neue Rennradschuhe bekommen würde oder nicht – diese Frage beschäftigte mich auch über Nacht, weshalb ich eher unruhig schlief.

Insgesamt fuhr ich an dem ersten Tag 186 km (mehr als geplant, da ich mich stellenweise verfahren hatte) und 1099 Höhenmeter. Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 22,4 km/h.

Weiterfahrt – zweiter Tag

Nach dem Frühstück machte ich mich gleich auf zu einem Sportgeschäft in Umhausen. Dort erwiderte mir der Verkäufer, dass sie keine Rennradschuhe führen – und dass das Kleben des kaputten Schuhs nicht möglich sei. Er empfahl mir, 12 km weiter nach Längenfeld zu fahren und es dort zu versuchen. Der Weg nach Längenfeld war teilweise sehr schön und abseits der vielbefahrenen Strasse. Nur der Blick gen Süden machte mir wenig Hoffnung auf eine regenfreie Pässefahrt!

 

In Längenfeld fragte ich in zwei Sportgeschäften nach und bekam stets dieselbe Absage: Nein, Rennradschuhe führen wir nicht! Erst beim dritten Sportgeschäft wurde ich fündig: Markus, der nette Verkäufer, ließ mich einige Rennradschuhe anprobieren und montierte mir zudem neue Klickpedalen. Denn die alten entsprachen nicht mehr der neuesten Norm – und außerdem stellte Markus fest, dass meine alten Pedalen wackelten und Spiel hatten. Wäre mir während der Auffahrt auch nur ein Pedal abgebrochen, wäre meine Transalp definitiv zu Ende gewesen.

Markus war absolut sympathisch und sprach mir Mut zu: das schaffst du! Du kommst heute sicherlich bis Bozen! Dann erzählte er mir von Rennradfahrern, die an einem Tag vom Ötztal bis zum Gardasee brettern.

Danach ging es mit den neuen Schuhen weiter bergauf – der Verkehr wollte einfach nicht aufhören. Vor allem die LKWs mit Bauschutt nervten mich sehr! Nur gut, dass ich mit den neuen Schuhen und Pedalen gut zurecht kam.

Ab Sölden – ein Ferienort auf 1.368 m Höhe (1. Foto) – wurde es vom Verkehr her deutlich ruhiger. Dafür wurde aber auch das Wetter schlechter! Ab Zwieselstein (2. Foto) fing es zunächst leicht an zu regnen. Meinen Helm hatte ich ja per se mit einem neongrünen Überzug versehen – zusätzlich zog ich mir noch meine neongrüne Windjacke an – das hatte zudem den Vorteil, dass ich bei der trüben Sicht von Autofahrern besser gesehen werden konnte.

 

Die Auffahrt bis zur Mautstation in Hochgurgl war alles andere als leicht, zudem ich hinten nur ein 28-er Ritzel hatte und daher kräftig treten musste. Außerdem hatte ich ja noch über 4 kg Gepäck an Bord. Übrigens gibt es an der Mautstation eine kleine Durchgangs-Spur für Radfahrer – im Gegenteil zu Autos und Motorrädern muss man die Überfahrt nicht gegen Bares, sondern mit viel Krafteinsatz berappen!

Kurz hinter der Mautstation fing es auch noch leicht an zu hageln – ich konnte mich aber unterstellen – und nach fünf Minuten war der Spuk vorbei.

Hinter der Mautstation geht es übrigens von 2170 m wieder runter auf 2078 m – die knapp 100 Höhenmeter muss man sich hinterher wieder mühevoll erarbeiten! Die Auffahrt zur Passhöhe erwies sich schon als recht grenzlastig – und ich legte ca. alle 15 Minuten eine kurze Pause ein und verdrückte jeweils einen halben Energieriegel. Dazu war es recht kalt. Ich betete innerlich, bloß keinen Platten an dieser Stelle zu bekommen – denn durch die Kälte wurden die Finger fast taub – d.h. ein Schlauchwechsel wäre das Allerwenigste gewesen, was ich in dieser Situation gebraucht hätte! Das Wetter war alles andere als einladend – und vor lauter Wolken gab es – abgesehen von der Strasse – recht wenig Orientierung! Vom atemberaubenden Alpen-Panorama keine Spur – und man konnte nicht einmal per Augenmaß abschätzen, wann endlich die Passhöhe kommen würde. Aber irgendwann ließ auf einmal die Steigung nach – das Pass-Schild erschien in der Nebelsuppe – und ich konnte sagen: das Schwerste ist geschafft! 

A propos Wetter: ich möchte nicht meckern: es war zwar kühl und regnerisch – aber wie wäre ich bei sengender Hitze klargekommen, wenn vor lauter Durst meine beiden Trinkflaschen nicht ausgereicht hätten?

Auffahrt von Sölden zum Timmelsjoch

    Oben am Timmelsjoch auf 2500m Höhe

Wie man auf dem letzten Foto unschwer erkennen kann, war es ganz oben auf 2500 m Höhe sehr ungemütlich und kalt. Gott-sei-Dank befand sich auf Passhöhe ein kleines Restaurant, wo ich mich erst einmal von den Strapazen erholte und mich mit einer Portion Spaghetti Bolognese und einem Weißbier belohnte.

Danach kam die Abfahrt nach St. Leonhard im Passeiertal – insgesamt knapp 30 km und 1820 Höhenmeter. Ich hatte bereits im Vorfeld gelesen, wie gefährlich die Abfahrt sei: im oberen Bereich einige unbeleuchtete Tunnel, dazu sehr enge Kehren und Brücken. Ich war also auf das Schlimmste vorbereitet! Vorsichtshalber schaltete ich mein Vorder- und Rücklicht ein und nahm die Abfahrt in Angriff. Dabei schüttete es so dermaßen aus Kübeln, dass ich bis schnell bis auf die Knochen durchnässt war. Außerdem war es oben mit unter 10°C nicht gerade mollig-warm. Dass ich mich nicht erkältet habe, lag vermutlich daran, dass mein Adrenalinspiegel recht hoch war. Vorsichtig aber zügig fuhr ich die Pass-Strasse hinunter und spürte, wie es allmählich wieder etwas wärmer wurde. Mit den Tunneln hatte ich weniger Probleme, da diese recht kurz waren. Außerdem hielt sich bis St. Leonhard der Autoverkehr stark in Grenzen, was die Abfahrt erträglich machte. Da es ja ununterbrochen geschüttet hatte, fehlte mir die Lust, überhaupt einen kurzen Foto-Stopp einzulegen. Daher kann ich erst ab Meran wieder mit Fotos aufwarten …

Ab St. Leonhard wurde der Verkehr plötzlich wieder sehr intensiv – dazu fuhr ich auf einer Landstrasse ohne Fahrradstreifen. In Meran angekommen, hatte ich einen langen Stau, der sich durch das gesamte Stadtgebiet zog. Aber dafür wurde es in Meran richtig angenehm warm, und meine Klamotten waren im Nu komplett getrocknet.

In Meran gönnte ich mir eine Kaffeepause und genoss den Hauch von mediterraner Leichtigkeit. Außerdem organisierte ich mir wieder mit der Booking-App ein Hotelzimmer in Bozen – denn dort wollte ich an diesem Tag noch hin. Die Zimmerpreise in Bozen waren gewaltig – für 84 Euro (ohne Frühstück) ergatterte ich mir ein Zimmer in einem recht einfachen Hotel – aber immerhin war es sehr zentral gelegen!

Nach der Abfahrt vom Timmelsjoch Einkehr in Meran    

Nach der Kaffeepause begann meine Irrfahrt – trotz Navi fand ich den Zugang zum Etschtal-Radweg nach Bozen nicht. Ich irrte durch die Stadt und fuhr stadtauswärts – aber in eine komplett verkehrte Richtung – zwar auch entlang der Etsch, aber westwärts nach Algund statt gen Süden. Bei Meran nämlich endet die west-östliche Flussrichtung der Etsch und fließt von nun an südöstlich in Richtung des Bozener Talkessels,    Außerdem mündet in Meran die vom Norden kommende Passer in die Etsch. Ich machte eine regelrechte Stadtrundfahrt – und erst, als ich mein Smartphone mit der Komoot-App hervorholte, fand ich den richtigen Weg nach Bozen. Ich kann daher jedem nur dringend raten, sich mit dem Navi sehr gut vertraut zu machen – oder auf bewährtes Karten-Material (damit meine ich die gute alte Karte!) zurückzugreifen. Das Navi selbst zeigt immer nur einen kleinen Ausschnitt – d.h. man sieht nicht unbedingt, wo man sich im größeren Rahmen (z.B. Stadtteil) befindet.

Der Etschtal-Radweg (wie wir auch noch später sehen werden) ist super angenehm zu fahren: stets entlang des Flusses Etsch („Adige“ auf Italienisch – übrigens mit 415 km der zweitlängste Fluss Italiens) und durchgehend geteert. Außerdem gibt es immer wieder Kilometerhinweise bis zum nächsten Ort. In Bozen verfuhr ich mich leider wieder! Oder anders gesagt: ich fuhr an Bozen vorbei Richtung Süden – in meinem Navi war nur die gesamte Tour, nicht aber Bozen als Zwischenstopp gespeichert. Ich hätte rechtzeitig gen Osten ins Stadtzentrum abbiegen müssen und fuhr stattdessen mehrere Kilometer weiter in Richtung Trient. Denn vom Radweg aus sah ich fast nur Strom-Masten, rot-weiße Schornsteine und Gewerbegebiete – konnte also kaum aus der Ferne die Stadt an sich erkennen! Als ich den Fehler bemerkte, radelte ich wieder in die entgegengesetzte Richtung und hatte große Mühe, durch den Bozener Stadtverkehr ins Zentrum und zum Hotel zu finden.

   

Insgesamt fuhr ich am zweiten Tag 147 km und 1840 Höhenmeter. Die Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 19 km/h.

Endspurt – dritter und letzter Tag

Die Wetter-Prognosen waren für diesen Mittwoch eher bescheiden: Dauer-Regen sowohl in Südtirol, als auch am Gardasee! Als ich morgens aufwachte, war es zwar bedeckt, aber immerhin trocken!

Nach dem Frühstück unweit vom zentral gelegnen Waltherplatz machte ich mich wieder mit dem Rennrad auf den Weg Richtung Trient – im Gegensatz zum Vortag fand ich sehr schnell den begehrten Etschtal-Radweg. Im Bozener Innenstadtbereich herrschte noch viel Radl-Pendelverkehr – aber wenige Kilometer außerhalb wurde es deutlich ruhiger.

Der Etschtal-Radweg ist sehr schön zu fahren. Außerdem gibt es ab und zu kleine Raststätten, wo man sich stärken kann. Nur gelegentlich (z.B. bei den Brücken) ist Vorsicht angesagt, wenn man eine Hauptstrasse überquert. Da ich durch die letzten anstrengenden Tage recht müde war, bin ich die Strecke bis nach Rovereto recht zügig gefahren und habe selten angehalten. Ich wollte nur eins: möglichst schnell den Gardasee erreichen. Lediglich in Trient legte ich eine Kaffeepause ein.

   

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Tipp

Die Strecke von Bozen nach Rovereto unbedingt vormittags fahren. Am Nachmittag (vor allem bei schönem Wetter) muss mit starkem Gegenwind gerechnet werden!

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In Rovereto musste ich den Etschtal-Radweg verlassen und in östliche Richtung gen Torbole abbiegen. Dabei ging es nach längerer Zeit wieder über Serpentinen bergauf. An manchen Stellen waren Fahrräder nicht zugelassen, und ich musste auf separate Radwege oder Kleinstrassen ausweichen. Das war etwas nervig – aber zumindest fühlte ich mich dabei sicher. Im Nachhinein erfuhr ich, dass ich bis Nago den Passo San Giovanni (der niedrigste Pass der Alpen – 287m) gefahren bin. Ganz oben hat man eine spektakuläre Aussicht auf den Gardasee! Nur leider ging es mit dem Verkehr so schnell, dass ich wieder wenig Zeit hatte, genau auf das Navi zu schauen: statt direkt die Serpentinen runter nach Torbole zu nehmen, fuhr ich einen großen Schlenker über Arco und dann zurück entlang des Flusses Sarca nach Torbole. Nun war ich endlich am Gardasee!

Viel Verkehr in Torbole  Riva del Garda

Aber das Schlimmste stand mir noch bevor: die 11 km von Riva del Garda nach Limone! Nicht etwa, dass ich keine Kraft und Energie mehr hatte – die Strecke besteht allerdings überwiegend aus Tunnel – teilweise sogar unbeleuchtet! Leider hatte ich bei der gestrigen Abfahrt vom Timmelsjoch nach St. Leonhard den Akku meines Vorderlichts leergemacht – mir blieb lediglich das Hinterlicht, welches ich auf Blink-Modus geschaltet hatte. Und dann ab ins Vergnügen! Das war nicht nur unangenehm, sondern fast schon lebensgefährlich: entgegenkommende Autofahrer betätigten teilweise die Lichthupe – und der Lärm in den Tunnel war (vor allem durch die zahlreichen Motorradfahrer) ohrenbetäubend! In solch einer Situation greift offenbar der Überlebensinstinkt, denn anders ist das Manöver nicht zu bewältigen!

Tunnel zwischen Riva del Garda und Limone

Am Hotel angekommen, gönnte ich mir erst einmal eine lockere Schwimmeinheit – nach so viel Asphalt tat das kühle Nass richtig gut!
Und ich hatte Glück gehabt: ich kam trocken in Limone an – erst dann fing es über Stunden an zu regnen.

   

Insgesamt fuhr ich am dritten Tag 130 km und 400 Höhenmeter. Meine Durchschnitts-Geschwindigkeit lag bei 25,5 km/h.

Drei Tage Urlaub – und dann Rückfahrt

Meine Tour war ja am Mittwochmittag in Limone zu Ende. Abends gab es dort heftige Wolkenbrüche! Aber am nächsten Tag war das Wetter wie ausgewechselt: strahlender Sonnenschein durchgehend bis Sonntag (= mein Abreisetag). Ich genoss die Mischung aus Sightseeing, Bootsfahrten, Dolce Far Niente und Schwimmeinheiten im See. Und es war ein erhabenes Gefühl, mich mit eigener Muskelkraft von München in eine komplett andere Klimazone und in eine vollkommen andere Welt befördert zu haben – und das auch noch klimaneutral 🙂

Wenn ich so am Seeufer saß, wäre ich am liebsten ca. 6 km schräg rüber nach Malcesine geschwommen – oder direkt bis zur anderen Seeseite – das wären 4 km gewesen. Allerdings herrscht auf dem Gardasee reger Schiffsverkehr – d.h. auch mit Boje wäre das Unterfangen recht gefährlich gewesen. Auch entlang des Ufers bin ich maximal eine Stunde lang geschwommen, da es sogar Motorboote gab, die weniger als 100m vom Ufer entfernt herumfuhren. Irgendwie fühlte ich mich beim Schwimmen nicht sehr sicher – ganz anders, als z.B. im Wörthsee südwestlich von München. Was die See-Überquerung anbelangt – es wäre doch sicherlich ein interessantes Unterfangen, mit mehreren Schwimmer*innen (z.B. von Exathlon) und mit einem Begleitboot eine Gardasee-Breitenquerung zu unternehmen.

        

Am Sonntagmorgen um 8h30 begann dann die Rückfahrt mit dem Shuttle-Bus, welcher einen großen Anhänger für die Fahrräder hatte. Die meisten, die mit mir zurück nach München fuhren, waren entweder E-Biker oder Mountainbike-Fahrer. Ein junges Pärchen aus Norddeich-Mole war auch dabei: sie fuhren jeweils mit einem Tourenrad plus Anhänger durch ganz Deutschland entlang der ehemaligen DDR-Grenze und dann über die Alpen nach Italien – Hut ab!

Zurück ging es mit dem Bus wieder über Nago – und ich konnte einen letzten Blick auf den Gardasee erhaschen. Der Busfahrer gab übrigens zwischendurch immer wieder Kommentare und Wissenswertes über Geographie und Geschichte.

 

Um 15h30 kam der Shuttle-Bus am Zentralen Omnibus Bahnhof (ZOB) an. Von dort aus waren es mit dem Rad nur noch wenige Kilometer bis nach Hause. Und ich war sehr froh, die Tour unfallfrei und ohne Fahrradpannen (abgesehen natürlich von dem Zwischenfall mit dem Rennradschuh) überstanden zu haben! Ich habe eine Leidenschaft von vor über zehn Jahren (Pässefahren in der Schweiz) wiederentdeckt!

Schlussbetrachtung

Pässefahrten (oder Transalp) ist etwas Faszinierendes! Freud und Schmerz liegen oft dicht beinander. Je nach Wind, Wetter, Steigung, Gepäck, Gangschaltung, moralischer Verfassung etc. kann ein Aufstieg recht anstrengend und kräftezehrend sein. Man muss sich selbst kontinuierlich Mut und Zuversicht zusprechen – ja, man muss die Herausforderung einfach wollen! Dafür wird man mit toller Aussicht (ok in meinem Fall am Timmelsjoch wohl eher nicht!), Brotzeit, Erleichterung, rasanter Abfahrt und überhaupt mit einem Erfolgserlebnis belohnt. Es sind Erinnerungen, die das ganze Leben über bestehen bleiben! Ich zehre noch heute von meinen damaligen Pässefahrten aus den Jahren 2006-2008! Übrigens sehe ich persönlich das Pässefahren als eine Art Parabel für das menschliche Leben: es gibt Lebensabschnitte, die sind zäh – man kämpft und kämpft, aber der Flow oder der Erfolg will sich nicht so richtig einstellen! Ja man möchte alles hinschmeißen! Und dann plötzlich kommen Phasen, wo sich Vieles zum Guten wendet, wo die Dinge auf einmal wie geschmiert und fast wie von selbst laufen.